Deutsch

Zwischen Vorsicht und Solidarität –

was tun gegen die Überwachung durch verdeckte Ermitter*innen?

In diesem Text versuchen wir darauf einzugehen, welchen allgemeinen Umgang wir mit dem Wissen um die Existenz von verdeckten Ermittler*innen (VEs) in der linken Szene finden können und welche Konsequenzen sich daraus für das eigene Verhalten ergeben. Durch die Enttarnungen der letzten Jahre ist die vormals eher abstrakte Vorstellung, VEs könnten sich unter unseren Freund*innen und Genoss*innnen befinden sehr viel greifbarer und realer geworden. Die meisten Menschen, die in den letzten Jahren in Hamburg aktiv waren, werden mindestens eine der drei enttarnten VEs zumindest am Rande kennengelernt haben. Im Zuge der Auseinandersetzung mit den Enttarnungen wurde die realistische These aufgestellt, dass sich wahrscheinlich immer 3-5 VEs parallel in Hamburgs linker Szene bewegen. Spinnen wir diese Rechnung vorsichtig weiter und gehen dabei von einer durchschnittlichen Verweildauer von vier Jahren aus, wären seit dem Jahr 2000 mindestens 12 VEs durch die gesamte Hamburger Szene geschleust worden. Lediglich ein Viertel von ihnen wäre dann enttarnt worden. Das klingt, ohne den Erfolg der Enttarnungen kleinreden zu wollen, nach schrecklich wenig.

Wie können wir also damit umgehen, dass wir uns in einer Szene bewegen und engagieren, in der wahrscheinlich gerade 3-5 VEs ihren Job machen? Zunächst einmal erscheint es als notwendig, ein Bewusstsein für ihre Existenz, sowie Verhaltensstrategien zu entwickeln, die VEs den Einstieg in Strukturen und das Sammeln von Informationen erschweren. Die obige Rechnung und die Erfahrungen der letzten Jahre führen leider auch zu der Erkenntnis, dass es keine 100-prozentige Sicherheit und keinen 100-prozentigen Schutz vor ihnen gibt*. Zugleich ist es im sozialen wie auch politischen Umgang existentiell, sich auf Freund*innen und Genoss*innen zu verlassen, denn „allein machen sie dich ein“. Solidarität und Vertrauen sind Grundlagen freundschaftlicher Beziehungen und politischer Arbeit, sei es, dass wir stundenlang auf Plena sitzen, wir abends durch die Straßen ziehen um zu plakatieren, wir gemeinsam für andere kochen oder wir losziehen, um irgendwo die Scheiben einzuhauen. Gerade deshalb stellt unser Vertrauen auch einen gezielten Angriffspunkt für die Bullen dar, welches durch den Einsatz von VEs missbraucht und verunsichert werden kann. Der sich hier offenbarende Widerspruch, zwischen einerseits Offenheit und Solidarität und andererseits Misstrauen und Angst vor Überwachung, lässt sich nicht auflösen. Wir plädieren jedoch an dieser Stelle energisch für einen besonnenen Umgang mit dem Wissen um die Existenz von VEs. Und dafür, sich nicht kirre machen zu lassen von den Verhältnissen, um die Saat des Misstrauens nicht aufgehen zu lassen. Unter diesen Vorzeichen beschreiben wir im Folgenden, wer von dem Einsatz von VEs betroffen sein kann, was es bedeutet im Szene-Alltag vor- und umsichtig zu handeln, sowohl in offenen, wie auch in geschlossenen Kontexten. Im Anschluss beschreiben wir den Umgang mit Verdächtigungen, die Möglichkeiten und Grenzen von Recherche, die Durchführung von Konfrontationen sowie die Veröffentlichungen von Enttarnungen.

*Hier lässt sich anmerken, dass VEs nicht die einzige Möglichkeit für die Bullen sind, an Informationen zu gelangen. Auch in unseren Strukturen kann es V-Leute geben oder Einzelpersonen die quatschen, sei es aus Unwissenheit, fehlgeleiteter Geltungssucht, unter dem Druck von Verhören, der Zufügung von körperlicher Gewalt oder aus Angst vor einem Strafverfahren.

 

Wer ist betroffen

 Von der Überwachung durch VEs sind potentiell alle Menschen betroffen, die sich mit elementarer Gesellschaftskritik beschäftigen. Nicht nur wer sich innerhalb solcher Strukturen bewegt, sondern auch Menschen, die sich an ihren Rändern oder in subkultureller Nähe bewegen, gehören zum Kreis der Überwachten.

 Häufig ermitteln VEs nicht gegen konkrete Einzelpersonen sondern „präventiv“ zur sogenannten „Gefahrenabwehr“. Ihre Aufgabe ist dann, allgemeines Wissen und Informationen über die Szene, ihre Strukturen, Dynamiken, Themen, Entwicklungen und Potentiale zu sammeln. Ermitteln VEs gegen konkrete Zielpersonen, denen kriminalisierbare Handlungen vorgeworfen werden, nähern sie sich dieser Person selten direkt. Stattdessen erforschen sie scheinbar sehr weiträumig das politische und soziale Umfeld und sammeln entsprechende Daten. Alle, die sich im Umfeld einer Zielperson bewegen, mit ihr Wohnen, Politik machen, Freizeit verbringen, befreundet sind o.ä., werden also mit überwacht. Gerade wenn VEs in die Szene einsteigen, tun sie dies über niedrigschwellige Wege, z.B. ein offenes Cafe (Iris Plate, Maria Böhmichen) eine Küfa oder eine Jugendantifa-Gruppe (Oppermann). Auf ihrem Weg durch die Szene nutzen sie soziale Kontakte aller Art, um bekannt zu werden, Vertrauen aufzubauen und ihre Legende zu festigen. Sie begegnen einer großen Anzahl von Menschen, über die sie Informationen sammeln und diese in Form von Berichten an ihre Vorgesetzen weitergeben.

Die Hamburger Fälle zeigen: Es scheint kaum ein Politikfeld zu geben, das sie nicht interessiert. VEs haben in gesetzlich besonders schützenswerten Gruppen ermittelt, welche sich zum großen Teil aus Minderjährigen zusammensetzten, sie haben den besonderen Schutz der Presse ignoriert und selbst vor sexuellen Kontakten und dem Führen von Liebesbeziehungen nicht Halt gemacht. VEs können uns also überall begegnen. Doch was ist die Konsequenz daraus? Zunächst einmal müssen wir ein Bewusstsein für ihre potentielle Anwesenheit entwickeln und Strategien für einen aktiven und zugleich besonnen Umgang mit diesem Wissen finden: Im Alltag, in offenen Szenestrukturen sowie in geschlossenen Gruppen.

Verhalten im Alltag 

Dieser Text kann keine klare Handlungsanweisung geben. Auf Demos, bei Vernetzungstreffen oder im Privaten, ihr werdet euch immer wieder selbst die Frage stellen müssen: Was erzähle ich Wem? Warum? Wo? Die Antwort darauf werdet ihr immer wieder neu abwägen und entscheiden müssen. Die Frage nach dem Wo? meint nicht nur „linke“ Orte an denen Polit-Veranstaltungen stattfinden, sondern auch subkulturelle Events, die gemeinsam vorbereitet werden, Partys, auf die alle gehen, die Küfa, die Kneipe, in der sich nach jedem Plenum regelhaft getroffen wird usw. Ebenso betrifft es euer privates Treffen „auf einen Kaffee“ und natürlich auch alle Aktivitäten in sozialen Netzwerken.

Was erzähle ich Wem? Die Motivation aus der heraus wir jemandem etwas erzählen wollen, ist meist nicht allein die reine Informationsweitergabe, häufig haben wir weitere Gründe: Ich möchte mich vielleicht ein wenig interessant machen, hoffe auf Informationen im Gegenzug, versuche meine eigene Neugier zu stillen, Situationen besser einschätzen zu können und Erlebnisse zu reflektieren. Ich finde andere sympathisch, versuche anderen ihre Fragen zu beantworten oder sie mit einzubeziehen. Dabei ist es wichtig, im Auge zu behalten, wen was angeht und welche Informationen und Details eine andere Person benötigt oder eben nicht: Muss ich Namen der Beteiligten nennen? Kann ich es im Gegenzug aushalten, wenn mir nicht jedes Erlebnis haarklein erzählt wird? Muss ich aus Neugier nach Aktionen anderer fragen, auch wenn es mich rein gar nichts angeht? Was ist, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber nicht sensibel genug mit Ereignissen umgeht? Sollte ich dann nicht besser „Stopp. Erzähl es besser nicht!“ sagen? Auch aus kleinen Puzzleteilen kann sich ein Gesamtbild ergeben und umgekehrt kann die Information, wer alles nicht beteiligt oder anwesend war, Rückschlüsse auf diejenigen, um die es geht, liefern. Grundsätzlich gilt: Je kriminalisierbarer die Handlung ist, desto mehr sollten Schutzmechanismen beachtet werden*.

Es macht also Sinn die eigenen und fremden Motivationen kritisch zu reflektieren, offen über diese Fragen zu sprechen und im Zweifel eher weniger als mehr zu erzählen. Das Nichterzählen als Verweigerung von Informationen sollte dabei nicht als persönliches Misstrauen verstanden werden, sondern als gegenseitiger/ gemeinsamer Schutz. Ein vorsichtiger und zugleich solidarischer Umgang bedeutet auch, nicht mehr Ausschlüsse zu produzieren als nötig. Hierzu bedarf es ebenfalls einer Reflexion des sozialen und räumlichen Kontexts. Es kann Leute vielleicht verletzen, spontan mit der Ansage: „Wir müssen noch mal kurz etwas besprechen…“ weggeschickt zu werden, vielleicht lässt sich das vermeiden. Ebenso ist es inkonsequent in der vollen Kneipe offensichtlich alle Handys wegzulegen, um dann gemeinsam für eine halbe Stunde zu verschwinden. Solch ein Verhalten ist nicht klandestin, führt schnell zu Neugier oder schlechten Gefühlen bei den Zurückgelassenen und dient häufig mehr dem Distinktionsgewinn, also sich von anderen abzuheben, als der Sache.

Reden dient häufig auch der Verarbeitung von Erlebnissen und dem Umgang mit Sorgen oder Ängsten. Je intensiver das Erlebnis, desto größer wird häufig der Druck darüber zu sprechen. Versucht, euch in solchen Fällen an Menschen zu wenden, welche ebenfalls beteiligt waren oder bereits davon wissen. Schafft in Bezugsgruppen oder anderen Kontexten Raum in der Vor- sowie der Nachbereitung, um über Erlebnisse und Emotionen zu sprechen. Die Bullen interessiert, wer in welchen Gruppen organisiert ist, wer welche politische Grundhaltung hat, welche Aktionen geplant und unterstützt werden; sie wollen Netzwerke und Verbindungen aufdecken.

*Fälschlicherweise wird oft angenommen, dass Spitzel sich nicht an Straftaten beteiligen würden oder es jedes Mal, wenn sie Straftaten in Erfahrung bringen, ein Strafbefehl oder Prozess folgt. Dem ist nicht so.

 

Umgang in unseren Strukturen

Wie gehen wir mit der Möglichkeit um, dass sich VEs in offenen oder geschlossenen Strukturen unserer Szene bewegen, bzw. wie erschweren oder verhindern wir ihr Vordringen insbesondere in geschlossene Strukturen?

Offene Strukturen, Treffen und Gruppen

Offene Strukturen (Vernetzungstreffen, Camps, Vollversammlungen…) sind offen, weil sie offen sein sollen! D.h. Küfas, Cafes, offene Treffen und Diskussionsveranstaltungen werden offen beworben und sind eine wichtige politische und soziale Komponente unserer (Sub-) Kultur. Sie dienen unter anderem dazu, sich gegenseitig kennenzulernen und soziale Kontakte zu knüpfen. Es sind außerdem wichtige Orte für neue Leute, um in die Szene zu kommen. Die soziale Hürde in einem offenen Kontext Leute kennenzulernen ist schon hoch genug, daher ist es eher kontraproduktiv, interessierte Menschen durch übermäßiges Misstrauen auszuschließen und abzuschrecken. Leider sind offene Strukturen auch Orte für VEs, um in der Szene Fuß zu fassen und durch Präsenz und Engagement erste Kontakte zu knüpfen. Über längere Zeiträume bauen sie Vertrauen auf und erzeugen ein Gefühl des „sich-Kennens“.

Unseres Erachtens nach gibt es in offenen Kontexten zunächst eine simple Strategie: Vorstellungsrunden machen, unbekannte Menschen (nett) fragen, wo sie herkommen und mit wem sie da sind, also miteinander reden! Nur so lernt man sich kennen und nur so lassen sich Aussagen zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht überprüfen und nur so können Widersprüchlichkeiten auffallen. VEs müssen irgendwo einsteigen und trotz intensiver Ausbildung und Vorbereitung kann es passieren, dass sie Fehler machen, es nicht schaffen ihre Rolle authentisch zu verkörpern. Dabei können Widersprüche zwischen ihren politischen Behauptungen und ihrem Verhalten, oder aus ihrer persönlichen Lebenspraxis zu Tage treten. Gerade neue Leute beherrschen allerdings oft bestimmte Szenecodes nicht, haben sich mit den üblichen „Ismen“ eventuell noch nicht so intensiv auseinandersetzt und fallen dadurch eher auf. Allein aus diesem Umstand vorschnell Menschen abzulehnen, auszugrenzen oder gar zu verdächtigen wäre fatal. Wir waren alle mal unerfahren und haben alle mal irgendwo angefangen.

So sehr wir dafür plädieren, miteinander zu sprechen, so sehr gilt es auch, den jeweiligen Inhalt und Kontext zu reflektieren. Das bedeutet in offenen Strukturen nicht über Dinge zu reden, die dort nicht hingehören. Dabei ist die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Strukturen manchmal gar nicht so einfach, es gibt Orte, die „fühlen“ sich geschlossen an, sind es aber nicht. Häufig kommt es zum Beispiel auf Camps aber auch in linken Zentren zu Überschneidungen und scheinbaren Mischformen, Vorbereitungskreise sind vielleicht geschlossen, Workshops und Veranstaltungen offen. Also achtet darauf wo ihr seid, in welchem Setting ihr euch bewegt und was dort besprochen werden sollte und was nicht. Im Falle von Unsicherheiten thematisiert genau das – klärt, was wo gesprochen werden soll!

Ein zentraler Moment, um VEs aus unseren Szene rauszuhalten, ist unserer Meinung nach der Übergang von offenen zu geschlossenen Strukturen. An dieser Stelle sollte bei allen Leuten, auch wenn man sich schon länger kennt und sich auf Demos, auf Plena oder Partys trifft, bereits befreundet ist oder gemeinsame Freund*innen hat, die jeweilige Biographie der interessierten Person überprüft werden. Überlegungen dazu findet ihr im folgenden Abschnitt.

 

Geschlossene Gruppen und Strukturen

Im besten Falle machen sich geschlossene Gruppen bereits im Vorfeld grundsätzlich Gedanken zum Umgang mit anderen Menschen und anderen Zusammenhängen. Geschlossene Strukturen müssen sich überlegen, auf welcher Basis sie mit diesen Menschen zusammenarbeiten und inwieweit sie ihnen vertrauen wollen. Dabei reicht „gefühltes Vertrauen“ und „sich schon länger kennen“, wie bereits beschrieben, nicht aus. Auch wenn es keine 100-Prozentige Sicherheit geben kann, halten wir es für sinnvoll und notwendig die Herkunft und Vergangenheit von neuen Personen in Erfahrung zu bringen und gemachte Angaben zu überprüfen. 

Ist die betreffende Person neu in der Stadt, macht eine Nachfrage am vorherigen Wohnort Sinn. Dabei gilt es herauszufinden, ob sie dort bekannt ist und ob ihre gemachten Angaben stimmen. Am einfachsten ist es natürlich, wenn die betreffende Person dort bereits politisch aktiv war und man Kontakt zu ihren ehemaligen Strukturen aufnehmen kann. Dieses Vorgehen macht im Rahmen der Aufnahme einer neuen Person ohnehin Sinn, es gibt eventuell auch andere Gründe, Stichwort: Unzuverlässigkeit, um mit Leuten nicht zusammen zu arbeiten. Um zu erfahren, ob jemand vertrauenswürdig ist, müsst ihr euch eigene Wege suchen, lasst euch nicht einfach eine Telefonnummer vom ehemals „besten Freund“ in die Hand drücken.

Inzwischen lassen sich viele Angaben (Abschluss-Jahrgänge von Schulen, Arbeitsstellen, Teilnahme an Sportveranstaltungen, Aktivitäten in sozialen Netzwerken wie facebook usw.) online überprüfen. Auch die Internet-Bildersuche ist einen Versuch wert. Zugleich lassen sich Identitäten im Netz natürlich auch faken. Es lohnt sich vielleicht zu überprüfen, wie alt bestimmte Inhalte, Profile o.ä. sind.

Dieses Vorgehen ist nicht ausreichend, ein Biographie-Check, also das gemeinsame durchgehen, besprechen und überprüfen des Lebenslaufes mit der jeweiligen Person ist ratsam. Jede Person, die Interesse am Einstieg in geschlossene Strukturen hat, sollte Verständnis für dieses Vorgehen aufbringen. Natürlich ist es möglich sich einer solchen Überprüfung zu verweigern. Dies bedeutet jedoch höchstwahrscheinlich, nicht Teil der jeweiligen Gruppe zu werden. Diejenigen, die diese Überprüfung durchführen, müssen achtsam vorgehen und persönliche Daten und Informationen unter keinen Umständen weitererzählen. Kein Mensch muss sich in dieser Situation als Bulle oder Geheimdienstler*in aufführen, sondern sollte mit Respekt für die gegenübersitzende Person und deren Privatsphäre vorgehen!

Potentiell birgt so ein Check also die Gefahr, unangenehm für alle Beteiligten zu werden. Deshalb sollte vor der Überprüfungssituation überlegt werden, welche Fragen gestellt werden. Es muss klar sein, was gefragt wird, um ausreichende, verifizierbare Infos über die betreffende Person zu sammeln, eine eindeutige Identifizierung ist das Ziel des Gespräches. Die Gegenseite hält allerdings weitreichende Ressourcen in der Hinterhand und kann die meisten Unterlagen ohne Probleme „fälschen“. Staatliche Dokumente wie Ausweise und Pässe sind in diesem Zusammenhang keine Identitätsnachweise! VEs erhalten nämlich „echte“ Dokumente aus der Bundesdruckerei, die mit den Daten ihrer Tarnidentitäten bedruckt sind, also optisch nicht von anderen unterscheidbar. Mit diesen staatlichen Dokumenten lassen sich wiederum private Geschäfte tätigen, Mitgliedschaften eingehen und Verträge unterzeichnen. Sinnvollerweise findet ein solches Treffen in der Wohnung der jeweils zu überprüfenden Person statt. Neben persönlichen Dokumenten, Zeugnissen, Verträgen, Kontoauszügen u.ä. ist auch die Wohnung selbst einen Blick wert. Stimmen die Einrichtung, Poster, Bücher, Musik u.ä. mit den behaupteten Interessen und der Lebensweise überein?

Insgesamt geht es darum, den Lebenslauf auf seine Stimmigkeit hin zu überprüfen, Unklarheiten und Lücken zu klären und ein Gefühl für diese Person zu bekommen. Dazu zählen neben den Unterlagen und der Wohnsituation ebenso das Verständnis und die Kooperationsbereitschaft des Gegenübers.

Bei einem Biographie-Check geht es somit darum, bereits gemachte Angaben zu überprüfen, weitere überprüfbare Informationen zu erlangen und herauszufinden, ob die jeweilige Person einen schlüssigen Lebenslauf erzählen und durch unterschiedlichen Papierkram belegen kann. Dabei geht es vor allem um den Lebensabschnitt zwischen ca. 16 und Mitte zwanzig, also die Zeit, in der die Ausbildung bei der Polizei gemacht wird. Oft werden Beamte deshalb jünger gemacht als sie wirklich sind, um diese Ausbildungszeit zu verschweigen. Da wie bereits erwähnt Papiere gefälscht und Legenden gut gestrickt sein können, hängt es letztendlich wieder an einem persönlichen Gefühl, welches man zu dem Gegenüber entwickelt und auf dessen Grundlage man Vertrauen schenken kann oder eben nicht. Hundertprozentiger Schutz ist auch so nicht zu erreichen, aber die Hürde für den Einstieg in geschlossene Strukturen wird zumindest ein Stück erhöht.

 

Umgang mit Verdächtigungen

Verdächtigungen müssen immer mit großer Vorsicht und verantwortungsvoll behandelt werden: Treffen sie zu, bedeutet die fortgesetzte Anwesenheit eines VEs das Misslingen von geplanten Aktionen und/oder eben Repression, vielleicht bis hin zu Knast. Treffen sie nicht zu, ist ein Mensch durch Misstrauen verletzt, oder gar öffentlich bloßgestellt worden. Hinzu kommt das Problem, dass eine einmal ausgesprochene Verdächtigung sich nicht mehr zurück nehmen lässt und sich auch nach längerer Zeit nicht einfach „in Luft auflöst“. Im Gegenteil, sie setzt sich erfahrungsgemäß in den Köpfen der Menschen fest. Häufig entsteht sogar das Bedürfnis, das Wissen um den Verdacht mit Vertrauenspersonen zu teilen, sodass der Kreis von um den Verdacht wissenden Menschen schnell und unkontrollierbar wachsen kann. Möchte euch eine nahe stehende Person von einem Verdacht erzählen, empfiehlt es sich dankend abzulehnen, wenn ihr nicht bereit seid, gemeinsam diesem Verdacht nachzugehen – mit aller Arbeit und allen unangenehmen Konsequenzen, die das mit sich bringen kann. Alternativ kann man auch darum bitten, den Verdacht anonym zu teilen, also auf die Nennung von Namen zu verzichten. 

Ob ihr den Verdacht nun selbst entwickelt habt oder durch eine andere Person von ihm hört – zunächst gilt es zu reflektieren, woher er kommt, welche Gründe bestehen. Beruht er nur auf einem komischen Gefühl oder existieren weitere Anhaltspunkte? Als Anhaltspunkte oder Verdachtsmomente können zum Beispiel Aussagen oder Umstände bezeichnet werden, welche typisch für die Legenden von VEs sind. Dazu zählen beispielsweise wenig bis keinen Kontakt zur eigenen Familie oder ehemaligen Umfeldern zu haben, alleine zu wohnen, relativ alt (über 20) für einen Szene-Einstieg zu sein, einem Job nachzugehen, der schwer oder nicht zu besuchen ist sowie Gründe für regelmäßige, längere Abwesenheiten (in welchen VEs ihr privates Leben aufrecht erhalten). Deutlicher treten die unterschiedlichen Strategien, Legenden und daraus folgenden Problematiken in dem Text „Gemeinsamkeiten und Unterschiede“ auf diesem Blog hervor. Darüber hinaus können VEs natürlich Fehler machen, sich auf verschiedenste Arten verquatschen und sich auf diese Art verdächtig machen. Die hier beispielhaft genannten Verdachtsmomente treffen selbstverständlich auf eine Vielzahl vertrauenswürdiger Menschen zu, sind keinerlei Art von „Beweis“ und können viele unterschiedliche Gründe haben.

Regelmäßig führt auch szeneuntypisches, unerwünschtes oder in anderer Weise auffälliges Verhalten zu „komischen Gefühlen“ und Verdächtigungen. Möglicherweise ist sogar die Beziehung zwischen verdächtigender und verdächtigter Person von Antipathie oder gar Streit gekennzeichnet. In diesem Fall sollte der Verdacht noch vorsichtiger behandelt werden. Denn unserer Erfahrung nach sind allein die Faktoren von Sym- bzw. Antipathie schlechte Ratgeber in Sachen Ver- und Misstrauen.

Haltet ihr nach einer solchen Überprüfung der Verdachtsmomente weiterhin am Verdacht fest, sucht euch eine, vielleicht zwei Vertrauenspersonen, mit denen ihr euch vorstellen könnt, die Sache weiterzuverfolgen. Schildert den Verdacht, zunächst möglichst ohne Nennung des Namens und gebt den angesprochenen Personen auch die Chance eine gemeinsame Arbeit zu dem Verdacht abzulehnen. Haltet ihr den Verdacht gemeinsam für berechtigt, müsst ihr handeln und zwar engagiert und verantwortungsbewusst. Dazu gehört, die Aufklärung weder zu verschleppen noch zum „Kneipengespräch“ werden zu lassen. Das heißt, die Zahl der Eingeweihten darf nicht durch Freund*innen etc. erweitert werden, nur weil ihr „es mal loswerden“ wollt!

 

Recherche

In vielen Fällen, gerade wenn ihr selbst noch keine Erfahrungen mit Nachforschungen zu einer Person gemacht habt, empfiehlt es sich, Kontakt mit Genoss*innen aufzunehmen, die evtl. bereits praktische Erfahrungen gemacht haben oder anderweitig besonderes Vertrauen genießen (z.B. EA/Rote Hilfe). Auch hier solltet ihr zu Beginn ohne Nennung eines Namens den Sachverhalt schildern. Seid immer auch bereit euch vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Spätestens jetzt müsst ihr entscheiden, wer verbindlich die Nachforschungen übernehmen soll und eine „Recherchegruppe“ (R-Gruppe) gründen.

In dieser Phase kann es immer sein, dass euch alles über den Kopf wächst, ihr das Gefühl habt, einem Menschen Unrecht zu tun oder schlicht keine Lust mehr habt. Sprecht in der R-Gruppe darüber, nehmt euch gegenseitig in euren Emotionen ernst und fangt euch gegenseitig auf. Recherche ist kein spannendes Detektivspiel sondern emotional unangenehm und kann euch einiges an Zeit und Nerven kosten.

Zunächst unterscheidet sich das heimliche Vorgehen einer R-Gruppe nicht wesentlich von dem, in diesem Text bereits beschriebenen, Biographie-Check. Aufgabe ist es als erstes Informationen und Angaben über die verdächtigte Person zu sammeln und zu überprüfen. Am einfachsten ist zu Beginn die Recherche via Internet, aber auch vor Ort, beispielsweise am ehemaligen Wohnort oder der aktuellen Arbeitsstelle.

Bedenkt, dass Informationen direkt von den VEs mit Vorsicht zu genießen sind: Sie sind geschäftsfähig in ihrer Tarnidentität, d.h. sie können Arbeits-/ oder Mietverträge abschließen, haben „echte“, also von der Bundesdruckerei hergestellte Papiere, Konten etc. Das einzige, was euch hilft, ist ein lückenloser Lebenslauf, vor allem in der Phase, die gewöhnlich dazu dient, die Ausbildung zur Beamtin des LKA, VS oder der Polizei zu durchlaufen. Etliche VEs haben, um diese Lücke nicht aufzuzeigen, sich eine jüngere Tarnidentität zugelegt. Für den Nachweis einer Ausbildung nutzt kein Abiturzeugnis sondern Kontakt zur Szene im Herkunftsort, bei der dann mal nach der Person gefragt wird. Ehemalige Mitschüler*innen oder Verwandte sind genauso (heimlich) ausfindig zu machen und zu überprüfen wie Spuren in sozialen Netzwerken etc. Diese Netzwerke gewinnen immer mehr an Bedeutung, vermutlich ist den Schnüfflern auf Entscheidungsebene klar, dass z.B. ein Facebook-Profil, welches erst seit kurzer Zeit besteht, wenig authentisch wirkt. Diese Entwicklung gilt es zu verfolgen.

Den Lebenslauf einer Person aufzudecken, ohne konkretes Hintergrundwissen oder wenigsten einen Anhaltspunkt, ist eine langwierige Angelegenheit, oder unmöglich. Im Fall der Astrid Oppermann aus Hamburg haben perfider weise sogar der echte Freund, die Oma und eine langjährige Freundin bei der Aufrechterhaltung und Verfestigung der Legende bewusst mitgewirkt. Ob in der organisierten Kriminalität operierende verdeckte Ermittler auch ein wenig solcherlei abendlichen Nervenkitzel für ihre Familien mit einplanen?

Im besten Fall findet ihr im Rahmen der Recherche Informationen und Aussagen, welche euch davon überzeugen, dass die verdächtigte Person einen nachvollziehbaren, überprüfbaren Lebenslauf besitzt und kein*e VE ist. In diesem Fall raten wir dazu, die überprüfte Person über den ehemaligen Verdacht, die Gründe und die Recherche zu informieren. So wird über das heimliche Handeln zumindest im Nachhinein Transparenz geschaffen, die verdächtigte Person kann sich dazu verhalten und erfährt nicht auf andere Weise von dem Verdacht. Im schlechteren Fall kommt ihr an einen Punkt, an dem ihr mit heimlicher Recherche nicht mehr weiterkommt und die recherchierten Informationen nicht ausreichen, um den Verdacht fallen zu lassen. An diesem Punkt kommt ihr nicht darum herum, eine Konfrontation vorzubereiten und durchzuführen.

 

Konfrontation

Wenn alles bei der Recherche darauf hinausläuft, dass es keine eindeutigen Ergebnisse gibt, dann müsst ihr eine Konfrontation durchführen. Einmal, um endlich Klarheit darüber zu haben, ob ihr eine*n verdeckte*n Ermittler*in unter euch habt, und andererseits um der Person die Möglichkeit zu geben, den Verdacht zu entkräften. Die Situation wird sehr unangenehm für alle Beteiligten sein. Deshalb sollte es das Angebot an die Verdächtigte Person geben, eine vertraute Person zur emotionalen Unterstützung hinzu zu ziehen. Grundhaltung und Ziel sollte sein, gemeinsam mit allen Beteiligten im Interesse der verdächtigten Person den Verdacht aus der Welt zu schaffen. Nun müssen der Verdacht und die dazugehörigen Indizien auf den Tisch. Ziel ist es, den Verdacht zu äußern und auf Grund der vorhandenen Indizien überprüfbare Angaben zur Identität und zum Lebenslauf zu bekommen. Versucht euch vor der Konfrontation einen Plan zurechtzulegen, wie diese Ablaufen soll. Was wollt ihr wissen, wie wollt ihr das überprüfen. Welche Fragen sind zu klären, um welche Zeitabschnitte geht es, etc. Es gilt, sich ein klares Bild der betreffenden Person zu machen, bei dem keine Fragen mehr offen bleiben. Die verdächtigte Person muss die Dinge offen legen, oder sie kann z.B. nicht mehr Teil der Gruppe, des Zusammenhangs sein. Das Problem bei einer Verweigerung der Offenlegung privater Dinge ist allerdings, dass ein Verdacht nur aus dem Kopf verschwindet, wenn er widerlegt wurde. Dass dies zu einer Grenzüberschreitung führt, ist uns bewusst, wir haben aber leider keine andere praktikable Lösung. Seid genau und prüft Orte, Details und Namen nach. Während bzw. nach der Konfrontation müssen sich sofort mehrere Menschen die Zeit nehmen, die gemachten Angaben zu überprüfen.Wenn sich der Verdacht leider als richtig erweist: Solltet ihr versuchen möglichst viele Informationen von der VE zu bekommen. Auf welcher Grundlage läuft der Einsatz, wer sind die Zielpersonen, wer sind die Vorgesetzen, wie lief die Informationsweitergabe an das Backoffice, etc. Macht mindestens ein Foto der VE. Diese Informationen solltet ihr direkt niederschreiben. Dabei müsst ihr euch aber immer bewusst sein, dass VEs auch auf Konfrontationen im Vorfeld vorbereitet werden, die Fakten, die sie euch nennen, werden nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Zuletzt müsst ihr eure Informationen öffentlich machen.

Wenn ihr dies lest und selber verdächtigt worden seid, versucht es nicht persönlich zu nehmen. Der Ärger, den ihr verspürt, ist nachvollziehbar, aber nach dem Lesen dieses Textes sollte euch klar sein, dass dieses Vorgehen trotzdem notwendig ist. Seid bereit dabei mitzuhelfen, den Verdacht aus der Welt zu räumen. Eine schnelle Klärung der Sache ist auch in eurem Interesse, je länger sich eine Sache hinzieht, desto mehr besteht leider auch die Gefahr von Tratsch etc.. Wenn ihr unfair behandelt werdet, holt euch Unterstützung.

 

Veröffentlichung

Die Veröffentlichung einer VE-Enttarnung darf nur passieren, wenn es auf Seiten der Veröffentlichenden eine hundertprozentige Sicherheit gibt, dass es sich bei der Person um eine VE handelt. Das bedeutet, entweder wird die VE-Tätigkeit bei einer Konfrontation zugegeben oder es existieren Beweise für eine VE-Tätigkeit. Dies setzt häufig voraus, die wahre Identität der enttarnten VEs zu kennen. Sicherheit und Beweise sind einerseits wichtig, um keine falschen Verdächtigungen/ Enttarnungen zu veröffentlichen. Darüber hinaus dienen sie der Glaubwürdigkeit, insbesondere gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit. Ohne sie wird eine Enttarnung nicht ernst genommen und Polizei und Politik streiten die ganze Sache einfach ab.

Vor einer Veröffentlichung ist es wichtig die euch bekannten, direkt betroffenen Menschen aus dem (ehemaligen) politischen und sozialen Umfeld der VE-Person zu informieren. Denn die Erfahrung, dass eine befreundete Person sich als VE herausstellt, ist mitunter sehr schmerzhaft und das erfährt man besser persönlich als durch einen Flyer. Um diese emotionale Belastung zu verarbeiten, kann es sinnvoll sein, sich an Strukturen wie „Out of Action“ zu wenden.

Wahrscheinlich ist jedoch, dass euch gar nicht alle Menschen, mit denen die VE-Person Kontakt hatte, bekannt sind. Daher ist es sinnvoll bei einer Veröffentlichung eine anonyme Mailadresse oder eine ähnliche Kontaktmöglichkeit anzugeben, bei der sich weitere Betroffene melden können. So kann ein Austausch stattfinden, die Tätigkeit und das Vorgehen der VE genauer rekonstruiert werden und vielleicht noch mehr davon veröffentlich werden. Auch bei einer gut recherchierten Enttarnung kann es passieren, dass Menschen den Vorwurf als unhaltbar zurückweisen und euch Vorwürfe machen, da sie den massiven Vertrauensbruch, den die Enttarnung für sie bedeutet, nicht ertragen können. Seid auch darauf vorbereitet.

Die Phase zwischen der Enttarnung und der Veröffentlichung bedeutet immer auch einen Spagat. Denn einerseits sollte das nähere Umfeld vorher informiert werden, andererseits sollte man versuchen zu viel Gerede und Gerüchte vor der eigentlichen Veröffentlichung zu vermeiden.

Der Veröffentlichungs-Text selbst sollte zwar die recherchierten Informationen enthalten, um die Enttarnung glaubwürdig und auch überprüfbar zu machen, nicht jedoch Informationen, welche auf den Rechercheweg oder die Art und Weise der Informationsgewinnung schließen lassen. Das geht die Bullen nämlich nichts an! Achtet auf eure Sicherheit, wenn ihr die Klarnahmen, Wohnadressen oder ähnliches von ehemaligen VEs veröffentlicht, damit zieht ihr natürlich den Zorn der Bullen auf euch …